Theologische Fakultät Freiburg – Quo vadis?

von links: DDr. Christian Würtz, Bischofsvikar für die Hochschulen und Regens im Collegium Borromäum, Jannik Schwab, Prof. Dr. Prostmeier, Dekan der Theologischen Fakultät Freiburg Bild: Jannik Schwab

Schwab: Die Anzahl an Theologiestudierenden nimmt seit Jahren in Deutschland anhaltend ab und gegenwärtig studieren de jure noch etwas mehr als 600 Menschen an der Theologischen Fakultät Freiburg Theologie. Was sind aus Ihrer Perspektive mögliche Ursachen für diesen Trend und weshalb braucht die Gesellschaft überhaupt noch Theolog*innen?

Prostmeier: Wozu Theolog*innen? Ihre Frage impliziert einen Wandel.  Demzufolge gab es eine Zeit, in der der Bedarf und die Relevanz von Theologie fraglos war. Die westlichen Gesellschaften haben sich aber – so die These – in einer Weise gewandelt, die die Funktion von Theologie als Wissenschaft obsolet erscheinen lässt. Es geht also nicht um Glauben, sondern um die Relevanz der Stimme wissenschaftlicher Theologie in gesellschaftlichen und kulturellen Diskursen. Aus meiner Sicht sind zwei Aspekte wichtig, ein eher innerchristlicher und ein politischer Gesichtspunkt. Kirche kann sich nicht davon dispensieren, die Botschaft Jesu treu zu Geltung zu bringen, ohne aufzuhören, Kirche zu sein. Das ist ein enormer Anspruch an alle Christ*innen. Er muss für jede Generation neu plausibilisiert werden und es bedarf hoher Anstrengung, die Stimme des Evangeliums der jeweiligen Kultur und den Zeitumständen angemessen zur Sprache zu bringen, oder allgemeiner formuliert, zu bezeugen, nämlich im Alltag der Welt. Diese Aufgabe stellt alle in die Verantwortung, jede Christ*in, aber besonders jene, die Verantwortung für und in den Strukturen der Kirche haben. Auch diese gewachsenen Binnenstrukturen bedürfen immer wieder der Plausibilisierung und sind so zu gestalten, dass in den tatsächlichen Strukturen der Welt die Botschaft Jesu treu, das heißt auch angemessen, zur Geltung kommen kann. Das ist eine permanente hermeneutische Aufgabe, um die sich die Theologie und die ganze Kirche mühen müssen, und zwar im Diskurs. Das ist nichts neues, sondern das ist seit den Anfängen der Kirche nie anders gewesen. Aus ihrer Geschichte könnte die Kirche auch ersehen, dass es bisweilen hilft und entlastet, sich dieses dynamische Kirchenkennzeichen bewusst zu machen. Auch aus einer säkularen Perspektive steht der Dienst im Vordergrund. Eine wichtige Funktion der wissenschaftlichen Theologie ebenso wie die der Kirche dürfte darin zu sehen sein, gegenüber den Instanzen des Staates und ebenso gegenüber dem, was in der Gesellschaft als das Machbare, Wünschenswerte und Erstrebte angesehen wird, dem Unverfügbaren Geltung zu verschaffen. Das ist in dieser säkularen Perspektive der Dienst, den wissenschaftliche Theologie und – wenn Sie wollen – die Kirche leisten: Staat und Gesellschaft an ihre eingeschriebenen Grenzen zu erinnern und darauf zu drängen, diese Grenzen um ihrer selbst willen, wegen der Würde eines jeden und zum Wohl der Allgemeinheit, zu respektieren. Vor diesem Hintergrund dürfte klar sein, dass der vorzügliche Diskursraum für eine gesellschaftliche Relevanz wissenschaftlicher Theologie zwar die Praxis der ,universitas‘ ist. Nach dem Verständnis einer modernen Universität und Fakultät ist das aber mitnichten ein selbstgenügsames Dasein im Elfenbeinturm. Vielmehr ist das ein erster wichtiger Schritt, um sich auch darüber hinaus kompetent in gesellschaftliche Diskurse einzumischen und sich zu engeren kirchlichen Belangen zu Wort zu melden. Nun fragen Sie auch, weshalb an unserer Fakultät nur 600 Frauen und Männer immatrikuliert sind. Es ist nur ein schwacher Trost, dass wir damit im bundesdeutschen Vergleich immerhin zu den drei größten Fakultäten für Katholische Theologie zählen, wobei zu bedenken ist, dass einzig in Baden-Württemberg nur die Lehramtsstudierenden für Gymnasium an der Universität sind. Tatsache ist, dass die Studierendenzahlen und die Zahl der Absolventen sinken, übrigens nicht nur in der Theologie, sondern fast in allen geisteswissenschaftlichen Fächern. Die Situation ist ein Spiegel der Relevanz der Geisteswissenschaften in unserer Gesellschaft. In den Theologischen Fakultäten konzentriert sich dieses Bild der allgemeinen Lage wie in einem Hohlspiegel.

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Bubble-Theologien

Die Aufgabe von Theolog*innen ist es, über Gott zu schreiben, zu sprechen, ihn darzustellen und so weiter. Seit Kurzem lässt sich immer wieder gut studieren, dass sich das Theologisieren vermehrt in homogenen ,Bubbles‘ ereignet und man sich scheut, die eigene ,Bubble‘ zu verlassen und somit die eigenen Beobachtungen oder Haltungen auf ein spezifisches Phänomen in Dialog mit anderen Perspektiven zu demselben Phänomen zu setzen. Wenn aber lancierte Theologien belastbar und relevant sein sollen, bietet es sich nach meinem Dafürhalten an, dies zu tun: Warum bemühen sich nicht beispielsweise vatikanische, universitäre oder diözesane Akteur*innen stärker, ihre ,Theologien‘ den (An-)Fragen von (jungen) Menschen, die vielleicht ganz anders sozialisiert wurden, auszusetzen? Ich meine, das wäre wichtig, um die Transformationsprozesse, die die Kirche (auch theologisch) jetzt machen muss, gut zu gestalten.

Um den heißen Brei …

Ich bin nicht der Erste und der Einzige, der dieses Sprachbild gebraucht, um zu beschreiben, welches Problem viele Akteur*innen der katholischen Kirche derzeit haben: Meines Erachtens haben dieselben verlernt, vernünftig und präzise theologische Phänomene zu beschreiben, zu deuten, anzufragen. Stattdessen verstricken sich diese oftmals in inhaltsleeren und beliebigen Phrasen, um sich nicht festzulegen, nicht anfragbar zu sein, sich vielleicht nicht korrigieren zu müssen. Wenn die Theologien der katholischen Kirche gegenwärtig und fortan noch relevant sein wollen, dann scheint mir die aktuelle Strategie kontraproduktiv zu sein: In meiner Wahrnehmung sind viele Menschen in der derzeit zu Ende gehenden Postmoderne daran interessiert, dass gegenwärtige Erkenntnisse klar kommuniziert, kluge Fragen gestellt und Aporien benannt werden. 

Ich werde nun konkret, um nicht auch Teil des Problems zu werden: Ich stelle mir Gott als vollkommen, frei, allmächtig, liebend und beziehungssuchend vor. Wie können diese Eigenschaften Gottes mit dem mannigfaltigen und schmerzlichen Leid auf der Erde verbunden werden? Ich habe hierauf keine Antwort, aber zumindest einmal meinen Diskussionsstandpunkt offen dargelegt und eine herausfordernde Frage lanciert. 

Wie gewinnen eigentlich katholische Theolog*innen Erkenntnisse?

Die sogenannte Lehre der ,loci theologici‘, also Orte der theologischen Erkenntnis, die der spätmittelalterliche Dominikaner Melchior Cano erstmals lancierte, beschreibt die gegenwärtige katholische Erkenntnislehre. Es lassen sich aus meiner Perspektive fünf Orte der theologischen Erkenntnis ausweisen: (1) Bibel, also die Texte aus dem Ersten und Zweiten Testament; (2) Kirche, also der Glaubenssinn der gläubigen Menschen und die Lehre des Papstes; (3) Offenbarung, also die geglaubte Offenbarung Gottes im Menschen; (4) Tradition, also die Geschichte des Glaubens und der katholischen Kirche; (5) Vernunft, also die menschliche Fähigkeit, einzusehen und zu urteilen. Gegenwärtig streiten Theolog*innen darüber, wie diese hier alphabetisch aufgezählten ,loci theologici‘ zu hierarchisieren und zu gewichten sind. Auch ich lege meiner Theologie eine spezifische Hierarchisierung und Gewichtung der ,Orte der theologischen Erkenntnis‘ zugrunde. Wie würden Sie in der Beurteilung theologischer Fragestellungen diese fünf ,Orte‘ hierarchisieren und gewichten? 

Literaturtipp: Körner, Bernhard: Orte des Glaubens – loci theologici. Studien zur theologischen Erkenntnislehre; (Ich habe im Vergleich zu Körner und anderen Theolog*innen die katholische Erkenntnislehre sehr vereinfacht dargestellt. Darüber bin ich mir allerdings bewusst).