Immer mehr Winzer in der Region ernten ihre Trauben mit einem Vollernter. Gerhard Zähringer aus Norsingen herbstet seine Trauben aber noch klassisch per Handlese. Ein Besuch im Rebberg.
Ein Korso aus drei Autos und einem Traktor schlängelt sich die schmalen Straßen zum Batzenberg in Norsingen hinauf. Gerhard Zähringer, der den Traktor steuert, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Winzergenossenschaft (WG) Norsingen und bewirtschaftet unmittelbar am Ortsrand eine Rebfläche. An einer Kreuzung kommt Heidi Zähringer, seine Schwester, dem Korso entgegen.
Sechs runde Edelstahl-Bottiche, die seit den 50er Jahren in der Region verwendet werden, stehen auf einem Anhänger bereit, um mit dem Lesegut gefüllt zu werden: Jeder Bottich fasst 500 Kilogramm. Und circa 500 Flaschen Wein können aus einem Bottich produziert werden.
Rebscheren aus Eisen
Die Helfer haben sich inzwischen Rebscheren aus Eisen geschnappt, die so aussehen, als seien sie seit vielen Jahren im Gebrauch. „Wir fangen von oben an“, ruft Gerhard Zähringer, der viele Jahre bei der Telekom in Freiburg im Vertrieb gearbeitet hat und mittlerweile pensioniert ist, der Gruppe zu.
Die Lese beginnt. Geerntet wird Müller-Thurgau. Ende des 19. Jahrhunderts züchtete der Schweizer Hermann Müller-Thurgau diese Weißweinsorte. Die Rebsorte macht ein Viertel der Anbaufläche der Norsinger WG aus. Eine Fläche in der Größe von rund 28 Fußballfeldern bewirtschaften die 27 Winzer, die zur WG gehören, wie deren Geschäftsführerin Heidi Ernst sagt. „Wir sind eine der kleinsten Genossenschaften in der Region“, fügt sie hinzu. Neben Müller-Thurgau bauen die Winzer vor allem Gutedel und Spätburger an.
Bei der Lese werden Anekdoten erzählt
Es scheint, als wisse jeder, was zu tun st: Während Gerhard Zähringer seinen Traktor durch die Reihen steuert, um die Ausbeute einzusammeln, schneiden die Helfer die reifen Früchte ab und lassen sie in bunte Plastikkörbe fallen. Immer zwei Helfer arbeiten an einer Rebzeile und können sich so gut miteinander unterhalten: Anekdoten werden erzählt, und dabei füllen sich die Körbe rasch. „Volle Körbe zu mir“, ruft Alexander Becher und kriecht durch die Rebzeilen, um die randvollen Körbe auszutauschen und die Trauben in die Bottiche zu kippen. Alexander Becher ist der Sohn von Raimund Becher, mit dem die Familie Zähringer seit fast zehn Jahren eine Erntegemeinschaft hat. Man hilft sich gegenseitig bei der Ernte.
Mit der „Biggi“ kommen die Trauben in die Bottiche
Weil der Traktor nur halbvolle Bottiche auf den Anhänger heben könne, kommt eine grüne Tragbütte zum Einsatz, die alle ,Biggi’ nennen und den Inhalt von sechs Körben fasst. Wenn sie voll ist, kurbelt Raimund Becher diese mit einem altertümlichen, aber intakten Gerät hüfthoch nach oben, um sie kraftsparend schultern zu können: Er läuft die Rebzeile zum Anhänger hinunter, klettert die alte Holzleiter hinauf, die an eine Bütte gelehnt ist, und bückt sich nur vorne, damit die Trauben über seinen Kopf in die große Edelstahl-Bütte fallen.

80 Prozent der Norsinger Winzer lesen mit Vollernter
„Circa 80 Prozent unserer Winzer mieten einen Vollernter“, sagt Heidi Ernst, die seit 1999 für die Genossenschaft arbeitet. Die Erntemaschine ähnelt einem Traktor und wird über die Rebzeilen gesteuert: Durch Rütteln werden die Trauben von den Rispen abgeschüttelt und gesammelt.
Während ein Vollernter die Rebfläche von Gerhard Zähringer rasch abernten könnte, brauchen er und seine Helfer einige Tage. Warum also die Traubenlese von Hand? „Ich habe genug Unterstützung, und den Helfern und auch mir macht die Weinlese Spaß“, sagt er. „Manche Helfer sehe ich nur einmal im Jahr beim Herbsten“, ergänzt Ulrika Ernst, die auch andere Winzer aus Norsingen bei der Lese unterstützt. „Ich mag die Gemeinschaft, und für mich gehört die Traubenernte einfach zum Herbst dazu“, fügt Sophia Zähringer, die Tochter von Evelyne und Gerhard Zähringer, hinzu.
Die Kirchenglocke schlägt zur Mittagsstunde: Zeit für eine Pause. „Für mich ist das Vesper im Rebberg ein weiterer Grund, bei der Weinlese mitzuarbeiten“ sagt Ulrika Ernst. Vom Rebberg kann man den mit weißem Holz verkleideten Kirchturm in der Ortsmitte gut erkennen.
Regen verhindert das Vespern im Freien
Während die anderen Helfer die Rebzeile vor der Pause noch komplett abernten, richtet Evelyne Zähringer das Vesper: Sie baut einen Tisch auf, deckt ihn und stellt darauf verschiedene Sorten Dosenwurst und Käse. „Letztes Jahr habe ich den Dosenöffner vergessen“, erinnert sie sich. Selbstgebackenes Brot und hausgemachte Marmelade komplettieren die Auswahl. „Das hatten wir noch nie“, sagt sie, als es plötzlich anfängt stark zu regnen. Sogleich packen alle Erntehelfer mit an und laden alles, was Evelyne Zähringer hergerichtet hat, in die Autos, um im überdachten Hof der Familie die Mittagspause zu verbringen.
Nach der Pause würden sie die restlichen Trauben lesen, sagt Evelyne Zähringer, bevor ihr Mann die Ausbeute zur Sammelstelle fährt, die sich unweit der Kirche befindet. Seit der Gründung der WG 1954 füllten die Norsinger Winzer ihren Wein in Breisach ab und ließen ihn auch dort vermarkten, erklärt Heidi Ernst. Dort würden die Trauben auch heute gekeltert und ausgebaut.