Zur Missionstätigkeit der katholischen Kirche (II)

Interview mit Dr. Hubertus Schönemann, Leiter der Arbeitsstelle für missionarische Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz

Schwab: Mission ist laut dem Missionstheologen Franz Helm ein Begriff, der in der öffentlichen Meinung mehrheitlich negativ konnotiert ist, da Mission „pauschal als intolerant, gewaltbereit, kulturzerstörend und kolonisierend“[1] aufgefasst und vor allem mit dem Agieren der weltlichen und geistlichen Akteur*innen der ehemaligen Kolonialmächte in den Ländern Südamerikas und Afrikas verknüpft wird.[2] Teilen Sie diese Einschätzung und welche Konsequenzen müssen die Verantwortlichen der katholischen Kirche aus ihrer historischen Missionsarbeit ziehen? 

Dr. Schönemann: Der Missionsbegriff hat sicherlich diese negative Konnotation aus der Geschichte heraus. Sobald man ,missionarische Pastoral‘ sagt, muss man erklären, was damit gemeint ist. Man muss sich auch immer wieder von einem bestimmten Verständnis von ,Missionierung‘ distanzieren. Mission war in der Geschichte immer wieder verbunden mit anderen Motiven, zum Beispiel wirtschaftlichen, kulturellen oder machtpolitischen. Im Kolonialismus wurden sehr viele Missionsgesellschaften und -orden gegründet. Es ging auch um den Transfer einer als überlegen geglaubten europäischen Kultur in die Länder des Südens.

Man muss aber auch ehrlicherweise zugeben, dass es immer wieder Kritik an diesen Praktiken gab. Der Jesuit Matteo Ricci lernte chinesisch und kleidete sich in Landestracht, um das Evangelium als Teil der chinesischen Kultur neu zu verstehen. Ich erinnere an den Dominikaner Bartolome de las Casa, der sich für die Rechte von Indigenen in Amerika einsetzte. Der Missionsbegriff trägt zwar diese historische Bürde und gleichzeitig ist er trotzdem nicht aufzugeben. Ich kenne noch keinen besseren Begriff für den Auftrag und die Sendung der Kirche. Es geht darum, neu zu vergewissern, was der Auftrag der Kirche in der Verkündigung oder Gestaltwerdung des Reiches Gottes ist. Heute versteht man in der Missionswissenschaft unter Inkulturation des Evangeliums, dass das Evangelium einen fruchtbaren Austausch mit der jeweiligen Kultur eingeht. Im Idealfall werden beide Seiten davon positiv geprägt. Das Evangelium in einer anderen Kultur neu zu verstehen oder zu buchstabieren, führt zum Paradigma des gemeinsamen Dialogs und des gegenseitigen Lernens. Es ist nicht einfach eine Übersetzung oder Übertragung, sondern es entsteht etwas kreativ Neues.Inkulturation des Evangeliums meint, dass Christ*innen hinausgehen und versuchen, mit Menschen von heute zu entdecken, was Gott mit den Männern und Frauen im 21. Jahrhundert in unserem Land vorhat. Das ist dann eine andere Art von Mission. Dafür müsste sich Kirche strukturell und pastoral anders aufstellen. Sie müsste andere Vorstellungen von sich entwickeln, andere Bilder und Narrative. Wenn man die Veränderungen der pastoralen Strukturen betrachtet, wird deutlich, dass es nicht nur um die Effizienz des alten Systems oder um ein Downsizing geht, weil es weniger Priester und weniger Geld gibt. Ziel dieser ganzen Strukturveränderungen in den Bistümern sollte eigentlich sein, Kirche so zu gestalten, dass sie viel stärker in Kontakt mit den Menschen ist, ihr Leben auf neue Weise entdeckt und darstellt. Ich sehe noch nicht ganz, dass das in den Bistümern so ankommt und realisiert wird, aber dafür setzen wir uns gemeinsam mit vielen anderen Verantwortlichen ein. 

Schwab: Die Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils sahen sich angesichts der genannten Anfragen an die Missionstätigkeit der Kirche und der Krise ihrer Glaubwürdigkeit veranlasst, eine neue Begriffsdefinition von Mission zu erarbeiten. Was verstehen die Mitwirkenden des Zweiten Vatikanischen Konzils unter Mission und welche neuen Akzente setzten diese?

Dr. Schönemann: In den 1960er Jahren deutete sich schon an, dass sich massive gesellschaftliche Veränderungen vollziehen. Deswegen ist das Konzil so spannend. Dennoch zeigen die Texte auch viele Kompromisse zwischen herkömmlichen und veränderten Vorstellungen. Ich nenne ein paar wichtige Punkte für ,Mission‘: Das alte instruktionstheoretische Modell oder die Vorstellung von der lehrenden Kirche und der hörenden Welt ist obsolet. Verkündigung heißt heute, dass Gott sich selbst offenbart als Partner und Freund. Gott geht aus sich heraus und in Liebe auf den Menschen zu, geht in Dialog. Das ist das Vorbild für christliche Mission. Das Konzil versteht Offenbarung als ein sich Hineinbegeben Gottes in die Gemeinschaft mit den Menschen. Das ist ein Beziehungs- und Kommunikationsgeschehen (Dei Verbum 2). Mission als Verkündigung heißt, sich in diesem Geschehen zwischen Gott mit den Menschen zu engagieren in Wort und Tat. Die Kirche hat keine Mission, sondern sie ist Mission. Mission ist nicht eine Tätigkeit, die die Kirche auch noch macht, sondern so, wie die Kirche sich darstellt, ist sie ihrer Wesensform nach Sendung (Ad Gentes 6)Mission ist das Lebensprinzip der Kirche, ohne Mission ist Kirche nichts. Deswegen schließen hier die Gedanken aus Lumen Gentium 1 an: Die Kirche ist ein Werkzeug und Symbol für die Gemeinschaft mit Gott und für die Gemeinschaft der Menschen untereinander (Sakrament). Es ist Gottes Wille, dass alle Menschen ein gutes und erfülltes Leben haben. Gaudium et spes stellt dies in den Kontext der modernen Gesellschaft hinein und betont die Perspektive der Adressaten der Botschaft. Das, worum es in der Botschaft geht, ist im Adressaten schon geheimnisvoll am Wirken. Gott ist früher als Missionar*innen. Kirche als Heilsgemeinschaft ist größer als die institutionalisierte Religionsgemeinschaft. In diesem Zusammenhang ist die Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Dignitatis Humanae) wichtig. Diese Erklärung war damals sehr umstritten. Es darf niemand zu einem bestimmen Glauben gezwungen werden. Natürlich nimmt die Kirche in Anspruch, eine Wahrheit von und über Gott aus Schrift und Tradition empfangen zu haben, die sie auslegen und weitergeben soll. Aber dieser Wahrheitsanspruch muss sich in der modernen Welt in Beziehung zur Freiheit und zur Lebenserfahrung des Menschen setzen, damit dieser die gute Botschaft für sich annehmen kann. Das Angebot und die Einladung der Kirche in ihrer Mission ist angelegt auf Antwort, die aber freiwillig gegeben werden muss. 

Schwab: Sie haben eine Dissertation im Fach ,Altes Testament‘ erstellt und sind somit bestens mit biblischer Exegese und Hermeneutik vertraut. Viele Missionsbewegungen, wie die Akteur*innen von FOCUS sowie die Autor*innen des Mission Manifests, leiten ihren Auftrag zur Mission aus einer Episode aus dem Matthäusevangelium, nämlich aus Mt 28,19, ab: „19 Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes […]“[3]. Obgleich die Auslegung einzelner Passagen aus der Heiligen Schrift nicht isoliert, sondern lediglich im Kontext eines entsprechenden Buches erfolgen sollte, frage ich Sie aber trotzdem Folgendes: Wie ist Ihrer Ansicht nach dieser Satz aus dem Matthäusevangelium zu verstehen? Genügt der Verweis auf diesen Satz oder auf weitere Episoden aus der Heiligen Schrift, um von einem genuinen Auftrag von Christ*innen zur Mission zu sprechen? 

Dr. Schönemann: Es reicht nicht, diesen Vers isoliert als ,Missionsbefehl‘ herauszugreifen. Er muss hineingestellt werden in den Kontext des biblischen Zeugnisses vom zugewandten und mitgehenden Gott, der Menschen in seine Nähe ruft und mit ihnen Gemeinschaft haben will. Diese Berufung und Sendung finden wir bei Abraham, beim gesamten Volk Israel, bei den Propheten, im Neuen Bund bei den Aposteln und Jüngern. Der genannte Vers aus dem Matthäusevangelium besteht aus drei Teilen: aus einer Selbstoffenbarung (Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden), einer Sendungsformel (hinausgehen, Jünger ,machen‘, taufen, lehren) und einer Zusage (Ich bin bei euch…). Dieses Senden der Jünger muss in den Kontext des Durchbruchs des Gottes Reiches gestellt werden. Was die Sendung ausmacht, zeigt sich bei Matthäus u.a. in der Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen und Antithesen sowie im Vaterunser. Es geht nicht darum, alle Menschen zu Christ*innen der katholischen Kirche zu machen. Es geht um den Durchbruch der Gottesherrschaft als neue Wirklichkeit und um Menschen, die das für sich entdecken, die das mit Christus in Verbindung bringen. Diese Menschen werden sich senden lassen. Es ist ja überhaupt nicht ganz eindeutig, was μαθητεύσατε bedeutet. Man könnte dieses Wort auch mit ,Jünger werden‘ statt nur mit ‚Jünger machen‘ übersetzen. Sendung heißt jedenfalls, nicht zu Hause zu bleiben, sondern hinauszugehen, Kontakt aufzunehmen, die Jünger*innenschaft auszuprobieren, zu vertiefen und zu teilen. Mit ‚Lehren‘ ist hier auch sicher nicht der Katechismus gemeint, sondern letztlich das Unterwegssein mit dem Rabbi Jesus, also letztlich eine Bewegung, die jede*r Christ*in immer wieder neu aufnehmen muss. 

[1] Franz HELM, Wie willkommen sind die Verkünder des Evangeliums?, zur Situation der christlichen Mission und der Missionswissenschaft im deutschsprachigen Europa, in: Franz HELM / Martin STOWASSER (Hg.), Mission im Kontext Europas. Interdisziplinäre Beiträge zu einem zeitgemäßen Missionsverständnis, Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft, vol. 3, Göttingen, Wien 2011, 19–31, 19.

[2] Vgl. ebd.

[3] IM AUFTRAG DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ, DER ÖSTERREICHISCHEN BISCHOFSKONFERENZ, DER SCHWEIZER BISCHOFSKONFERENZ U. A. (Hg.), Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Gesamtausgabe, Stuttgart 2016.

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